Trotzphase mit Siebzehn?

Ein Bericht aus meiner Coachingpraxis

Ein Schüler, 16 Jahre alt will, sich sein ganzes Umfeld so formen, wie es ihm gefällt.
Alle Mitwirkenden werden mit Wutanfällen abgestraft, wenn sie nicht funktionieren, wie er sich sein Leben gerade vorstellt.
• Schule – nur so viel wie gerade nötig
• Pflichten im Elternhaus – nur so viel, wie vereinbart und das mit langen Diskussionen von Seiten der Eltern
• Coaching – nur um sich dort so richtig auszukotzen und hier das Opfer in Szene zu setzen

Was passiert hier?

Ich bin keine ausgebildete Psychologin. Ich arbeite als Coach und seit über 30 Jahren als Nachhilfelehrerin mit schulpflichtigen Kindern und weiß freilich um die Nöte aller Altersgruppen.
Die Pubertät fällt hier extrem in das Blickfeld vieler an der Erziehung beteiligten Menschen.
Keiner hat es in dieser Zeit leicht.

Nicht nur, dass sich im Gehirn durch die Hormonumstellung Vieles neu verdrahtet und man den Eindruck hat, dass mit diesem Vorgang alles vorher Gelernte ausgelöscht wird, nein es kommt auch eine Schlafrhythmusveränderung hinzu.

Pubertierende machen am liebsten den Tag zur Nacht und fahren in der Nacht zu Höchstleistungen auf, sofern sie dann wirklich lernen und hier nicht die Gehirnarbeit für PC-Spiele verbrauchen.
Ich möchte dir die Geschichte meines Schülers erzählen und wie ich versuche, im ersten Moment natürlich zu helfen.

Um seine Wünsche durchzusetzen, erfindet er die schönsten Ausreden und Märchen, die man sich nur denken kann. Kommt man ihm auf die Schliche, mit anderen Worten, spricht man aus, dass man das alles nicht glaubt, dann kommt es zur Explosion – zum Wutausbruch.
Ihm fehlen dann die neuen Worte, um sein Anliegen doch noch durchzusetzen. Die bisherigen Strategien sind fehlgeschlagen, sein Lügenkonstrukt aufgeflogen.
Jetzt muss eine andere Strategie her.
Ich bin im Recht. Ich bin schon 16 Jahre alt. Alle anderen dürfen mehr als ich und so weiter.

Eltern von Jugendlichen wissen um diese Sprüche.

Wenn man dann nicht so reagiert wie gewollt, dann kommt nach dem Wutausbruch ein Wasserfall. Nun ja, das Feuer muss ja auch wieder gelöscht werden, denkt sich wohl das Unterbewusstsein.
Vielleicht helfen ja die Tränen? Früher war es doch immer so. Früher konnte man seine Eltern schnell mit den dicken Kullertränchen in die Knie zwingen.

Warum funktioniert es jetzt nicht?

Nun gibt es die nächste Strategie: Die heißt Flucht. Man tritt unverrichteter Dinge den Rückzug an. Mit schlagenden Türen, um hier noch mal zu unterstreichen, wo der Hammer hängt, verlässt man den Raum, lässt die Erziehungsberechtigten mit der Wut (die genauso hochkocht) allein.

Damit ist das Problem aber nicht gelöst.

Nun kommt die nächste Ebene, das Beleidigt sein. Der Rechthaber in uns, und der rührt sich nun auf beiden Seiten zu Wort, ist extrem beleidigt, weil er ja das Opfer ist. Er kann doch nichts dafür. Er hat ja in der ganzen Situation recht gehabt.

Die Fronten verhärten sich. Keiner will nachgeben.
Der Schüler holt sich Hilfe. Hilfe bei seiner Freundin, die den Rechthaber noch weiter nährt.

Nun möchte ich dir meine Strategie zu diesem Fall schildern. Hast du Lust bekommen, wie ich ein wenig Einsicht herauskitzeln konnte?

Folgende Metapher bot ich diesem Schüler an:

Stell dir vor, du bist gerade 4 Jahre alt. Du kommst gerade vom Kindergarten und hast Hunger. Du siehst eine Packung mit Keksen, die Mutter vom Einkauf mitgebracht hat. Davon willst du nun unbedingt einen haben. Deine Mutter bereitet gerade das Mittagessen. Es dauert nicht mehr lange und so sagt sie NEIN. Im Gegenteil, sie fordert sogar zum Tischdecken auf. 
Du fängst an zu bohren. Ich will aber einen Keks. Ich will aber. Deine Mutter bleibt immer noch ruhig, fängt aber langsam an, dir zu erklären, warum sie dir diesen Wunsch nicht erfüllen mag.
Jetzt wirst du wütend und mit der Wut laut. Warum? Weil du dein Anliegen nicht durch Worte durchzusetzen vermagst. Dir fehlen die Worte für eine Diskussion. Klar, mit vier Jahren? 
Nächste Strategie, die Wut will gekühlt werden. Die Tränen kullern.

Wenn hier die Eltern schwach werden, dann haben sie: genau, verloren. Denn dann hat das gerade trotzige Kind eine geniale Strategie entwickeln können. 

Wir kennen die Trotzphasen alle und es ist gar nicht so einfach mit Vernunft zu appellieren, denn der Trotz unterbindet diese, der Rechthaber will sich hier einen Platz eines Vierjährigen erobern.
Ich möchte nicht auf das normale Trotzalter eingehen, sondern auf die Wut eines Pubertierenden, dessen Verhalten dem Trotzalter gerade sehr ähnlich scheint.

Ich erzähle dem Schüler also weiter:
Deine Eltern versuchen dir nun liebevoll, soweit es gerade möglich ist, zu erklären, warum du den Keks jetzt nicht bekommen kannst. Egal welcher Grund es sein mag, sie versuchen es dir zu erklären.
Doch in diesem Fall hörst du gar nicht hin. Nein, ich will meinen Keks. Nein, ich will nicht vernünftig sein. Nein, ich will jetzt meinen Willen …
Du spürst, dass du verloren hast.
Du läufst davon. Hinter dir knallt die Tür ins Schloss.
Dann sitzt du schmollend in deinem Zimmer, 
beleidigt mit der ganzen Welt.
Die Erwachsenen wollen mich einfach nicht verstehen.

Wie reagiert nun der 16-jährige Schüler auf diese Metapher?

Er sagt prompt: „ Ist mir doch egal, dann kaufe ich mir halt selber Kekse.“
Diese Antwort hat mir gezeigt, dass er diese Metapher nicht verstehen wollte.
Ist ja auch keine Wunder.
Er will ja seiner Opferrolle, von seinem Standpunkt Recht zu haben, auf keinen Fall weichen.
Der Rechthaber fühlt sich so gut an, so mächtig, so stolz.

Ich gebe ihm von meinen Zauberölen ein Öl in die Hand, das gerade gut zu dieser Situation passt. Öle haben seit einigen Jahren einen festen Platz in meiner Coachingpraxis. Ein jahrhundertealtes Wissen findet zum Glück die letzten Jahre wieder Gehör.

Sofort beginnt er aus tiefstem Herzen zu weinen, sofort. Nicht die rechthaberischen Krokodilstränen kommen zum Kühlen aus seinem blutroten Wutgesicht.

Nein nun sind es sanfte Tränen, die einfach kullern.
Er wird ruhig und traurig.

Er kann endlich reden, reden über seine Bedürfnisse, über alles, was ihm fehlt.
Er hört mir jetzt zu, wenn ich sage, dass die Erwachsenen einen Erziehungsauftrag haben und die Verantwortung für ihre Kinder tragen. Sie haben den Weitblick, um auch zu sehen, was gut oder nicht gut tut. Sie wollen tatsächlich, auch wenn das ein Jugendlicher, der gerade seinen Willen nicht bekommt gar nicht hören will, nur das Beste für ihr Kind.

Und für mich ist es so wichtig, dass ein junger Mensch versteht, dass ein gutes Maß an Reibung der Beweis für die Liebe des anderen ist. Schmeißt man die Türen zu, will man nicht mehr miteinander reden, geht man nur noch seinen Weg, lässt man alles hinter sich, ohne sich umzudrehen, dann spricht man bei einer Beziehung von dem Prozess einer Trennung.

Doch das will hier natürlich niemand.

Erleichtert geht der Schüler nach dieser Coachingstunde nach Hause. Im Gepäck ein kleines Fläschchen meines Zauberöls, das hier noch ein paar Tage einen guten Dienst leisten wird.

 

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Christine Weidner Bild rund

 

 

Christine Weidner

 

 

Als Lernstrategie-Coach, Konzentrationstrainer, Dipl. System Coach für ADS/ADHS nehme ich Familien an die Hand, um sie durch den Schulalltags-Dschungel zu begleiten.

Inspiriert durch Erfahrungen im Umgang mit meinen Schülern und Eltern habe ich angefangen, Blogartikel zu schreiben. In der Hoffnung, viele Eltern durch meine Ideen zu inspirieren, lasse ich immer dann, wenn meine Herz schreiben will, einen Blogartikel entstehen.

Mein Wunsch ist es, dass ich viele Mütter/Väter unterstützen kann, mit ihren Erfahrungen rund um das Thema Schule und Erziehung, ausgeglichener umgehen zu können.

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