Warum bist du hier?

WARUM BIST DU HIER?

Vor ein paar Tagen erzählt mir eine Schülerin aus der 10. Klasse, dass sie gerade ein sehr interessantes Taschenbuch lese. Es gehe um den Sinn des Lebens. Ich freue mich, dass ein so junger Mensch, allen Vorurteilen zum Trotz über den Sinn des Lebens etwas erfahren will.

„Leih mir doch das Büchlein aus, wenn du es gelesen hast!“, sind meine Worte.

Ich bin neugierig, will wissen, was meine Schüler so lesen, vor allem, wenn sie überhaupt mal ein Buch in die Hand nehmen. Lesen ist doch uncool, bekomme ich oft zu hören.
Es dauert nicht lange und das Mädchen hält mir das Taschenbuch mit den Worten hin: „ Es macht mir Angst, Frau Weidner. Ich kann nicht weiterlesen!“

Aufgrund ihrer Erklärung spüre ich noch mehr Neugierde auf dieses Taschenbuch. Irgendetwas rührt sich in mir, irgendetwas spürt Parallelen zu den Ängsten des Mädchens. Im Stillen denke ich: „Ich weiß wovon sie da erzählt, das kommt mir so bekannt vor!“

Und tatsächlich, auch mir geht es beim Lesen der ersten zwei Kapitel ähnlich. Interessant ist meine Reaktion darauf, dass auch ich am liebsten aufhören möchte. Auch ich spüre ein Unbehagen, als es um das Thema geht, sich zu verlieren, sich nicht mehr zurechtzufinden in seiner Umgebung. Ich erkenne es von einem immer wiederkehrenden Alptraum, in dem das Thema des Verlorenseins, des Verlassenseins, der Hilflosigkeit, des Alleinseins, des Zurückbleibens die Oberhand in diesem Traum gewinnt.

Und nun passiert es auch mir,

schon nach wenigen Zeilen kommt das Herzklopfen,
kommt die Erinnerung an meine Angst.

Und doch verspüre ich Neugierde.

Zum Glück.

Denn die Fragen, „Warum bist du hier?“, „Hast du Angst vor dem Tod?“, das sind ja Fragen, mit denen sich viele Menschen beschäftigen oder beschäftigen sollten.

Beim Lesen wird mir bewusst, dass sich genau diese Lebensfragen wohl durch den immer wiederkehrenden Alptraum aufgedrängt haben und das in einer sehr hässlichen Form.
Doch es braucht dieses Mädchen, es braucht dieses Buch, um endlich diese Erkenntnis zu bekommen.
Waren meine Alpträume über so viele Jahre Wachrüttler?

Beim Schreiben dieser Zeilen fällt mir auf, dass ich diesen Traum seit Jahren gar nicht mehr habe! Habe ich meinen Sinn des Lebens gefunden und daher die Angst vor dem Verlorensein überwunden?

Ich muss zugeben, dass ich die letzten 15 Jahre wirklich fleißig an meiner Sinnfindung gearbeitet habe und die letzten 5 Jahre meiner Berufung einen Namen geben konnte. Ich habe gar nicht wahrgenommen, dass mich dieser Alptraum nicht mehr quält.
Die vielen Jahre des Lernens, des Ausprobierens haben Einfluss auf mein Leben genommen und mich auch verändert. So soll es ja sein. Und es traf mich nie wie ein Blitz aus dem heiteren Himmel, sondern schleichend und doch mit einer Energie und Dynamik, die ich als solche kaum wahrnahm.
Auch wenn ich über viele Jahre in meinem Herzensberuf lebe, wurde mir dies erst bewusst, als ich anfing, für meine Aufgaben zu brennen. Mein Herzensberuf bekam ein Bild, eine Form, einen Namen und das aus dem Herzen.

Ich fühle mich angekommen.
Muss nicht mehr suchen,
umherirren,
mich verlaufen,
verloren gehen.
Denn ich bin angekommen.
Auch wenn ich schon immer dort war,
weil es das Vermächtnis war, das ich von meiner Mutter übernommen habe.
Doch wehrte sich viele Jahre etwas in mir.
Ich erkannte nicht, dass es das war, das mich seit meinem 15. Lebensjahr erfüllte.

Warum bin ich hier?
Als ich mir diese Frage beantworten konnte, da fühlte sich mein Tun endlich leicht, sinnerfüllt an. Auf diese Frage bekam ich schon vor Jahren so viele wunderbare Antworten, dass ich jedem nur empfehlen kann, sie sich zu stellen.
Diese tolle Frage!

Doch zurück zu meinem 16-jährigen Mädchen, das aus Angst vor ihrem Alptraum das Taschenbuch erst einmal in meine Hände legte. Sie kann es ja nur deshalb in meine Hände legen, weil ich Anteil nehme am Leben meiner Schulkinder, meiner Nachhilfe- und Coachingkinder.

Mit Dankbarkeit und Freude gebe ich der Schülerin das Taschenbuch „Cafê am Rande der Welt“ zurück und motiviere sie, vielleicht genau durch diese wunderbar geschriebenen Zeilen, auch ihrem Alptraum ein Ende setzen zu können.

Vielleicht!

Natürlich war und ist mir bewusst, dass ein Schüler in diesem Alter noch nicht die ganzen Antworten für sein „Warum bin ich hier?“ bekommen wird, doch als Denkanstoß scheint mir diese Lektüre recht gut zu sein.

Mein Herz hüpft mal wieder vor Freude, es schlägt Purzelbäume, als ich in die strahlenden Augen eines sonst melancholischen und ängstlichen Gesichtes schaue, das sich nun traut, dieses Taschenbuch zu Ende zu lesen.

Ja, meine Herzensaufgabe wird an diesem Tag mal wieder erfüllt.

Christine Weidner
Als Lernstrategie-Coach, Konzentrationstrainer, Dipl. System Coach für ADS/ADHS nehme ich Familien an die Hand, um sie durch den Schulalltags-Dschungel zu begleiten.
Inspiriert durch Erfahrungen im Umgang mit meinen Schülern und Eltern habe ich angefangen, Blogartikel zu schreiben. In der Hoffnung viele Eltern durch meine Ideen zu inspirieren, lasse ich immer dann, wenn meine Herz schreiben will, einen Blogartikel entstehen.
Mein Wunsch ist es, dass ich viele Eltern unterstützen kann, mit ihren Erfahrungen rund um das Thema Schule und Erziehung, ausgeglichener umgehen zu können.

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